Sero stellt neues Album “Regen” vor
Knapp vier Jahre ist es her, dass Sero aus dem Nichts auf der Bildfläche erschien und die Deutschrap-Szene gehörig vor den Kopf stieß. Erst die Single „Holy“, dann das Album One and Only. Ein Album, das untypisch für deutschen Rap war. Mächtig in seinem Sound, eigen in seiner Sprache. Selbstbewusst, vielleicht sogar arrogant. Aber schlussendlich doch so beeindruckend und faszinierend, dass es dem Berliner ein beachtliches Standing in der Szene bescherte.
„Und trotzdem habe ich nach dem Album gemerkt, dass das für mich künstlerisch nicht alles gewesen sein kann“, blickt Sero zurück. „Ich hatte das Bedürfnis, noch mal an ein paar Stellschrauben zu drehen und mich selbst zu überdenken.“ Sero droppt binnen 15 Monaten drei EPs. Vor allem erlauben die aufeinanderfolgenden Releases Sero, sich ein bisschen auszuprobieren. Das eine Ergebnis dieser Phase ist „Temperamento“. Ein Song, ach was, ein Hit, der im Radio und den Playlisten rauf und runterläuft, mittlerweile knapp 35 Millionen Streams und einen Remix mit Nura zählt und damit kurz vor Gold steht.
Das andere, vielleicht noch wichtigere Ergebnis, ist Erkenntnis. „Ich hatte das Rap-Album, ich hatte den Hit, aber auch den Moment, in dem ich erkannt habe, dass es noch etwas anderes gibt, das ich spannend finde“, erinnert sich Sero. „Es gibt dieses eine Männerbild im Rap: Den Macher, den Macho, der nach Großem strebt. Mit ‚One and Only‘ habe ich den auch bedient. Aber nach und nach haben mich immer öfter Künstler interessiert, die einfach Dinge aussprechen, die wir alle in unserem stillen Kämmerlein denken, aber über die niemand öffentlich redet. Ängste und Zweifel, Sorgen und Sinnkrisen.“
Der erste Vorstoß in diese Richtung ist „Vertigo“ von der „Stormy“-EP. „Den Song habe ich in fünf oder sechs Minuten völlig dicht in irgendeiner Spelunke geschrieben und eine Woche später aufgenommen. Das waren einfach nur rohe Gedanken, ohne Struktur oder Hook. Aber der Song wurde so gut von den Leuten angenommen, dass mir klar geworden ist: Was uns wirklich einzigartig macht, ist unsere eigene Innenwelt. Die Melancholie, die man in sich trägt.“
Melancholie habe ohnehin schon immer eine große Faszination auf ihn ausgeübt. Sero erzählt, wie er früher manchmal auf Partys gegangen sei, nicht um Stress ohne Grund zu machen, wie es mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist, sondern um teilnahmslos am Rand zu stehen. „Ich habe manchmal ein ganz starkes Gefühl von Leere und Schmerz in mir. Durch das Business hat sich das in den letzten Jahren noch verstärkt. Immer am Start sein und gute Laune haben, diese ganze fake Scheiße ertragen müssen. Das macht etwas mit dir – und das muss raus.“
Sero hätte es sich auch einfach machen und die Flucht nach vorne wählen können: Einfach noch ein paar Mal „Temperamento“ machen, eine Handvoll gefälliger Videos drehen und den Rest des neuen Albums mit Fillern versehen. Die Bedürfnisse des Streaming-Zeitalters befriedigen und anschließend die Füße hochlegen. Er hätte auch einfach vor all seinen Ängsten und Zweifeln wegrennen und ein zweites „One and Only“ machen können. Noch größer, noch brachialer, noch düsterer. Aber er hat sich anders und für den radikalen Bruch entschieden.
Gemeinsam mit Executive Producer Alexis Troy hat Sero ein Album gemacht, genauso schlüssig und in einem eigenen Kosmos verortet wie der Erstling, das aber doch wie eine Gegenthese zu selbigen fungiert. Das ganz ohne Pathos und Inszenierung auskommt, das durch Stimmung, Gefühle und Emotionen besticht. Nicht dreimal um die Ecke gedacht, sondern geradeheraus und auf den Punkt. Offen, ehrlich und verletzlich.
Es trägt den Titel Regen. Wenn man dieses Wort hört, macht es eine ganze Welt auf. Da ist der Regen als Metapher für Melancholie und Traurigkeit, genauso aber auch für etwas Kraftvolles und Reinigendes. Da ist zum Beispiel der Titeltrack. Ein mächtiges Stück Musik: Wuchtige Drums und ein bedrohliches Inferno aus Bass und Bläsern von Alexis Troy, dazu Seros unverkennbarer Rap-Style – voll von brachialer Bildgewalt und Rap-Referenzen. „Fliegen“ mit Almila Bagriacik fungierte als „Tatort“-Titelsong und erzählt in gekonnter Ambivalenz vom Fliegen, aber auch vom Fallen – emotional und eindringlich und genau deshalb auch so kraftvoll und beeindruckend.
„Viele Leute werden den bisherigen Sero und diese neue Vulnerabilität nicht übereinander bekommen“, sagt Sero. „Aber das eine und auch das andere in meiner Musik zuzulassen, ist für mich echtes Selbstvertrauen.“ Recht hat er.